Sir Tobi von unserem Gnadenhof erzählt:
Auch ein Pferd hat ein Recht wenn es müde ist, auf Rast und Ruh, wie Du.
Drum lass ihm die letzten Jahre, zeig ein Herz, denn sie stehen ihm zu!
Autor unbekannt
„Mit diesen Worten komme ich, Sir Tobi, zu meiner Geschichte.
Ich bin mittlerweile 22 Jahre alt. Für die einen sind es nur 22 Jahre. Für ein Pferd wie mich aber beinahe schon ein ganzes Leben.
Ich habe sehr viel erlebt, viel Schlimmes aber auch Gutes. Mein Weg war nicht immer einfach und oft ungerecht, aber es gab auch schöne Zeiten. Ich will mich nicht beschweren, denn ich bin nur ein Pferd und es liegt nicht in meinen Hufen, über die Menschheit zu urteilen.
Meine Geschichte gleicht wahrscheinlich tausend anderer Geschichten meiner Artgenossen, aber die wenigsten haben das Glück, nun in Sicherheit und Frieden leben zu können.
Ich bin ein in Russland geborener Trakehner und kam im Jahr 1993 auf die Welt. Die ersten Lebensmonate verbrachte ich gemeinsam mit meiner Mutter in einer größeren Herde. Wir waren Tag und Nacht draußen und ich hatte Freunde zum Spielen und Raufen. Danach wuchs ich relativ frei in einer Junghengstherde auf. Wir testeten täglich unsere Stärke, machten Wettrennen, tobten, spielten und schliefen gemeinsam in der Mittagssonne.
Meine ersten drei Lebensjahre waren eine wirklich schöne Zeit. ♡ ♡ ♡
Danach wurde ich an ein Ponygestüt verkauft. Wir mussten in diesem Stall in Boxen stehen und konnten uns nur noch durch die Gitter sehen. Das war mir fremd und verunsicherte mich, denn ich mochte meine Freunde und sie gaben mir Schutz. Mit der Zeit gewöhnte ich mich aber daran und konnte ihnen wenigstens immer kurz zurufen, wenn ich mit den Menschen in die Halle zum Arbeiten ging.
Ich war schon immer ein sehr anständiges und freundliches Pferd, und obwohl ich riesig bin, brauchte keiner Angst vor mir zu haben. Ich lernte, am Halfter zu laufen und gewöhnte mich an die Trense. Später schnallten sie mir einen Sattel auf den Rücken und ließen mich damit im Kreis laufen. Einige Zeit später kletterte dann der erste Mensch auf meinen Rücken. Das war schon sehr bedrohlich und ungewohnt und ich war oft nervös, aber da ich wusste, dass sie mir nichts tun würden, akzeptierte ich es einfach. Nach einigen Wochen trug ich meinen Reiter sicher und mit Anstand in allen drei Gangarten durch die Halle.
Die Zeit verging und mir fehlte meine Freiheit mit meinen Freunden. Ich war manchmal traurig, wenn ich alleine in meiner Box stand und darauf wartete, was der Tag wohl so bringen würde. Wenn die Menschen kamen, bedeutete dies wenigstens Ablenkung und ich bemühte mich immer, alles richtig zu machen.
Irgendwann überliess mich der Chef des Ponygestütes seiner Bereiterin, die mich über alles liebte und pflegte und die sich auch mit meinen „Macken“ arrangierte.
Sie bildete mich bis S-Dressur aus und gemeinsam bestritten wir auch so manches Turnier. Wir waren erfolgreich, wir hatten Spaß, wir waren ein Team. ♡ ♡ ♡
Leider hatte sie dann einen schweren Reitunfall mit einem anderen Pferd, unter dessen Folgen sie noch heute leidet und sie nur knapp einer Querschnittslähmung entkam.
Sie besaß zu der Zeit zwei Pferde. Ein älteres Hufrehe-Pony und mich, den jungen Sir Tobi. Weil sie sich zwei Pferde nicht mehr leisten konnte, beschloss sie, dass bessere Pferd zu verkaufen.
Und dann kamen fremde Menschen in unseren Stall und sie verkaufte mich in vermeintlich gute Hände. Wir sahen uns nicht wieder …
Ich kam in einen neuen Stall. Eine Wiese gab es auch hier nicht wirklich. Ich versuchte, mich mit den anderen Pferden anzufreunden, aber immer waren diese schrecklichen Gitter im Weg. Sie antworteten mir zwar, wenn ich sie rief, aber kennenlernen konnte ich sie eigentlich nie. Ich war schon immer ein Nervenbündel, und um für mich ein Ventil zu finden, fing ich an, meinen Kopf hin und her zu pendeln. Die Menschen nennen das „Weben“. Es lenkte mich ab und sorgte dafür, dass die langweilige Zeit schneller herum ging. Ich webte stundenlang und hörte nur zum Fressen oder Schlafen auf. Ich machte es, wenn die Menschen gingen, wenn meine Boxennachbarn den Stall verließen, wenn ich besonders einsam war und wenn ich durch das viele Training Stress bekam.
Auch wir gingen auf Turniere und waren in Dressur, Springen und Vielseitigkeit erfolgreich. Durch den vielen Stress und meine Verhaltensstörung hatte ich jedoch viele kleine und auch größere Unfälle. Ich schlug mir beim Weben meinen Kopf so stark an der Wand an, dass ich mir das Jochbein brach. Irgendwann stellte man dann auch noch einen Griffelbeinbruch in meinem Hinterbein fest, der aber nicht operiert wurde.
So war ich nicht mehr tragbar für meinen Besitzer und wurde also wieder verkauft.
Meine ehemalige Besitzerin hatte mir immer ein Zuhause in guten Händen gewünscht. Ich sollte nicht in eine Box eingesperrt werden, sondern viel laufen können. Ich sollte ein Pferdeleben haben, wie ich es mir verdient hatte, aber das bekam ich nicht.
Die Jahre waren vergangen, ich war älter geworden und hatte Vieles erlebt.
In meinem neuen Zuhause sammelten wir wieder viele Schleifen und waren erfolgreich auf vielen Turnieren, aber der ganze Stress war einfach nichts für meine Nerven. Im Laufe der Zeit behielt ich meine Verhaltensstörung, das Weben, bei und es wurde immer schlimmer.
Als meine Besitzerin die Nase nach mehreren Zwischenfällen endgültig voll hatte, wurde ich an eine Reitschule verschenkt.
Hier hatte ich wenigstens genug Auslauf und durfte in einem Offenstall mit anderen Pferden leben. Ich hörte aber nicht auf zu Weben. Zu viel hatte ich in den ganzen Jahren erlebt und ich konnte dieses zwanghafte Verhalten einfach nicht ablegen.
Nun war ich also ein Reitschulpferd. Was das bedeutete, wurde mir erst mit der Zeit klar. Ich hatte nie nur einen oder zwei Menschen, die sich um mich kümmerten, sondern es waren ständig andere.
Ich musste mehrere Reitstunden am Tag erledigen und oft waren es sehr mühsame Stunden. Es war eine sehr anstrengende Zeit und ich wurde immer müder und trauriger.
Ich baute immer mehr ab. Mein Fell wurde stumpf, meine Augen traurig. Ich fühlte mich elendig, hatte kaum noch Lust zu essen und fing mir dann auch noch eine Pilzinfektion ein.
Und manchmal brach ich beim Satteln einfach zusammen …
Der Tierarzt stellte dann fest, dass mein Herz nicht mehr richtig arbeitete und ich deshalb so müde war. Ab sofort war ich eine Gefahr für die Reitschüler und konnte meinen Dienst nicht mehr erledigen. Manchmal standen Reitschüler vor meiner Box und guckten mich mit ratlosen Blicken an. Ich hörte Worte wie „einschläfern“ und „Metzger“, aber mir war das alles egal. Manche weinten auch und sagten, ich dürfte nicht sterben und müsste gerettet werden. Was das bedeutete verstand ich aber nicht.
An einem kalten, sonnigen Samstagmorgen wurde ich dann in einen Pferdehänger verladen und vom Hof gefahren. Die Fahrt dauerte sehr, sehr lange und schien endlos. Die meiste Zeit döste ich einfach, mir war egal, was nun passierte.
Irgendwann hielten wir dann an und die Klappe wurde geöffnet. Ich musste aussteigen und war etwas steif nach der langen Fahrt. Als ich mich umguckte, sah ich weite Wiesen und andere Pferde.
Ich war in der Arche angekommen und hier endet nun meine Lebensreise, aber das wusste ich da ja noch nicht.
Auf der Wiese angekommen begrüßte ich die anderen Pferde erst einmal freundlich, um mich direkt danach ausgiebig zu wälzen. Später gab es ordentlich Futter, und als ich mich umdrehte, war das Auto und der Pferdehänger verschwunden.
Schon am nächsten Tag durfte ich die anderen Pferde persönlich kennenlernen und wir hatten richtig Spaß! Wir spielten und rauften und wir machten Wettrennen; ich hatte fast vergessen, wie toll das war. ♡ ♡ ♡
Wir erlebten einen schönen ersten Winter und später den Sommer. Anfangs webte ich noch immer bei jeder Gelegenheit, wenn ich unsicher wurde und Stress bekam. Sogar wenn sie die Zäune zum Grasen versetzten … Aber mittlerweile habe ich es fast vollständig abgelegt und komme sogar damit zurecht, wenn meine Box mal wieder kurz verschlossen ist. Das passiert höchst selten und auch nur dann, wenn ich meine extra Portion lecker Matschfutter bekomme und das gefräßige Pony in der Nähe ist.
In diesem Jahr musste der Zahnarzt zu mir kommen und als er fertig war, waren die blöden Zahnkanten verschwunden und ein paar schlechte Zähne auch. Meine Hufe haben sich auch gut erholt. Früher trug ich immer Hufeisen, aber die brauche ich hier ja nicht. Meine Hufe mussten sich erst langsam daran gewöhnen und zwei mal bekam ich ein Hufgeschwür, das der Schmied aufmachen musste. Mein Fell und meine Augen glänzen wieder und ich habe meine Lebensfreude zurück. Die Menschen hier sind wirklich lieb zu mir und keiner hat je versucht, mich zu reiten.
Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich nun nicht mehr arbeiten muss und immer so viel laufen darf, wie ich möchte. Das ich nicht mehr in eine Box eingesperrt werde und Langeweile haben muss. Das Kinder mich so mögen, wie ich bin und sich liebevoll um mich kümmern. Und das ich in meiner Herde ohne Sorgen zur Ruhe kommen und mich jederzeit zum Ausruhen hinlegen kann.
Sie verlassen mich nicht, ich bin nie wieder alleine. ♡ ♡ ♡
Ah, gerade fällt mir auch noch etwas zu Weihnachten ein … Mir und meinen Freunden könnt ihr eine riesen Freude mit leckeren Möhren machen! Ja, ich gestehe. Ich liiiiebe Möhren! Denn die bekommen wir Rentnerpferde nicht oft und sie sind deshalb etwas ganz Besonderes für uns.“ ♡ ♡ ♡